„Ja, wo ist sie hin? Die Zeit.“. Auge in Auge mit einer Alterskohorte, in welcher der vorangegangene Satz ganze Abende einleitet. Im letzten Jahr hatte ich viele Gelegenheiten Menschen zu begegnen, mit denen ein gemeinsames Wiedersehen teils Jahre gedauert hat. Schöne, gar wunderbare Begegnungen, bei denen Haar-, Bauch- und Faltenansätze zwar eine untergeordnete Rolle spielten, aber auch bei größter Beherrschung und Pietätsbeachtung nicht zu übersehen waren. Bei der/dem einen offen angesprochen (beispielsweise durch non-verbales, offensives Kneifen), bei der/dem anderen galant mental gephotoshopt. Dabei sind wir doch noch so jung. Oder nicht?

Dieses Jahr ändert sich bei mir, mal wieder, die vordere Ziffer des Alters. Dabei gehe ich gerne mal die letzten zehn Jahre vor meinem geistigen Auge durch. Führt mit Ende Zwanzig das Siezen beim Kippen schnorren am Bahnhof noch zur starken Entrüstung, sehe ich mittlerweile Erstsemestern beim Torkeln durch die Stadt zu und frage mich, aus welcher Zeit sie gerade entsprungen sind? Dabei sind sie geboren, als ich Erfüllung in selbiger Abendgestaltung fand. Es schaudert mich, ich schließe meine Jacke ein Stück mehr. Zuhause dann der Blick in den Spiegel. Körperlich gut in Schuss (denke ich), beruflich etabliert (rede ich mir ein), gesellschaftlich integriert (isso).

Zeit für den Blinker?

Bemerkenswert, so geht es in vielen Gesprächen bei besagten Treffen offen um Schwächen und Lebenskorrekturen. In den Dreißigern das Gaspedal, in den Vierzigern der Blinker? Die Offenheit und Selbstreflektion, mit eigenen Fehleinschätzungen umzugehen, hat mich bei meinen Freunden gleichen Alters sehr beeindruckt. Und machen wir uns nix vor, der Körper knirscht bei exzessiver und nicht-altersgerechter Nutzung. Als (nachlassender) Wettbewerbssportler korrigiere ich ständig Ziele. Aber der Kopf ist da. Erfahrungen und Erlebnisse gespeichert und weitergegeben. Die eigene Meinung und Position stark und reflektiert. Ich kann mich leiden. Die Zeit geht weiter und bleibt spannend. Auch ab Ende April.


Die gesammelte Kolumne „Gedanken von textmarka“ findet ihr hier.